Philosophie

„Wer schlechte Augen hat, muss lernen mit dem Herzen zu sehen.“

Es ist nicht zwingend notwendig tief in die Philosophie japanischer Denkweise einzusteigen, um Bonsai zu verstehen und man muss auch kein Intellektueller sein. Jeder kann dieses Hobby für sich entdecken. In der Regel findet der erste Kontakt auf emotionaler Ebene statt. Nur wenige können sich der Erhabenheit und Schönheit der kleinen Kunstwerke entziehen. Bonsai ziehen den Betrachter in ihren Bann. Sie laden ihn dazu ein, ihre Schönheit zu genießen und dabei Befriedigung und Ruhe zu finden.

Auch mein erster Kontakt mit Bonsai fand auf emotionaler Ebene statt. Als junger Mann mit einem Faible für japanische Kultur faszinierten mich die kleinen Bäume mit ihren oft bizarren Formen sehr. Leider verfügte ich damals weder über einen Garten noch über Balkon oder Terrasse. Also kaufte ich mir einen Zimmerbonsai, einen Fukientee, im Pflanzenmarkt und, was soll ich sagen, er ging nur wenige Wochen später ein. Wie ich später lernte, war es nicht ganz und gar meine Schuld, denn diese Bäume erliegen gerne einer Krankheit, die Blätter und Äste absterben lässt. Meine Frustration war groß und hielt viele Jahre an. Dennoch ließ mich der Gedanke an Bonsai nicht los.

Heute kümmere ich mich um etwa 60 Bäume in unterschiedlichen Entwicklungsstadien und kämpfe mit meiner Frau um jeden Quadratzentimeter Garten, um „diesen Einen noch“ unterzubringen. Ich kann Stunden damit zubringen, die Bäume zu betrachten, mir vorzustellen, wie und wohin sie sich entwickeln könnten, und dabei die Welt um mich herum zu vergessen. Es ist eine Art Symbiose. Ich gebe den Bäumen was sie brauchen, um kräftig und gesund zu altern. Dafür darf ich an ihrer Entwicklung teilhaben und mich an ihrem Anblick und ihrer Ausstrahlung erfreuen. Sie beruhigen und entschleunigen mich. Eine klare Win-Win-Situation.